Arbeits­zeit­er­fas­sung im Wan­del: Vom EuGH-Urteil zum neu­en Arbeits­zeit­ge­setz

Die Arbeits­zeit­er­fas­sung ist ein zen­tra­ler Aspekt des Arbeits­rechts und hat direk­te Aus­wir­kun­gen auf die Rech­te und Pflich­ten von Arbeit­neh­mern und Arbeit­ge­bern. In den letz­ten Jah­ren hat die­ses The­ma auf­grund von Urtei­len des Euro­päi­schen Gerichts­hofs (EuGH) und des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) an Bedeu­tung gewon­nen. Bei­de Gerich­te haben ent­schie­den, dass Arbeit­ge­ber ver­pflich­tet sind, die Arbeits­zeit ihrer Mit­ar­bei­ter sys­te­ma­tisch zu erfas­sen. Die­se Urtei­le haben eine leb­haf­te Debat­te über die Vor- und Nach­tei­le einer sol­chen sys­te­ma­ti­schen Arbeits­zeit­er­fas­sung aus­ge­löst.

In die­sem Kon­text hat das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Arbeit und Sozia­les (BMAS) einen Refe­ren­ten­ent­wurf zur Ände­rung des Arbeits­zeit­ge­set­zes vor­ge­legt. Die­ser Ent­wurf zielt dar­auf ab, die Vor­ga­ben des EuGH und des BAG in natio­na­les Recht umzu­set­zen und gleich­zei­tig einen ange­mes­se­nen Rah­men für fle­xi­ble Arbeits­zeit­mo­del­le zu schaf­fen.

In die­sem Arti­kel wer­den wir die EuGH- und BAG-Urtei­le zur Arbeits­zeit­er­fas­sung sowie den Refe­ren­ten­ent­wurf des BMAS detail­liert dar­stel­len und dis­ku­tie­ren. Dabei wer­den wir auch auf das Kon­zept der Ver­trau­ens­ar­beits­zeit ein­ge­hen, das in vie­len deut­schen Unter­neh­men Anwen­dung fin­det und durch die geplan­ten Ände­run­gen des Arbeits­zeit­ge­set­zes beein­flusst wer­den könn­te.

Die EuGH- und BAG-Urtei­le zur Arbeits­zeit­er­fas­sung

Ein EuGH- und ein BAG-Urteil zur Arbeits­zeit­er­fas­sung haben die Debat­te um die Arbeits­zeit­er­fas­sung in Deutsch­land maß­geb­lich beein­flusst.

Im Mai 2019 hat der Euro­päi­sche Gerichts­hof (EuGH) in sei­nem Urteil (C‑55/18) ent­schie­den, dass Arbeit­ge­ber ver­pflich­tet sind, ein Sys­tem zur Erfas­sung der täg­li­chen Arbeits­zeit ihrer Mit­ar­bei­ter ein­zu­füh­ren. Die­ses Urteil basiert auf der Auf­fas­sung, dass ohne ein sol­ches Sys­tem die Rech­te der Arbeit­neh­mer, wie sie in der Arbeits­zeit­richt­li­nie und der Char­ta der Grund­rech­te der Euro­päi­schen Uni­on fest­ge­legt sind, nicht gewähr­leis­tet wer­den kön­nen. Ins­be­son­de­re könn­te es für Arbeit­neh­mer schwie­rig sein, ihre Rech­te durch­zu­set­zen, wenn sie nicht nach­wei­sen kön­nen, wie vie­le Stun­den sie tat­säch­lich gear­bei­tet haben.

Das Urteil des EuGH wur­de in Deutsch­land kon­tro­vers dis­ku­tiert. Kri­ti­ker argu­men­tier­ten, dass eine sol­che Pflicht zur Arbeits­zeit­er­fas­sung zu büro­kra­ti­schen Belas­tun­gen für Unter­neh­men füh­ren und die Fle­xi­bi­li­tät der Arbeits­zeit­ge­stal­tung ein­schrän­ken könn­te. Befür­wor­ter hin­ge­gen beton­ten, dass eine genaue Arbeits­zeit­er­fas­sung not­wen­dig ist, um die Rech­te der Arbeit­neh­mer zu schüt­zen und Über­stun­den und unbe­zahl­te Arbeit zu ver­hin­dern.

Im Sep­tem­ber 2022 hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in sei­nem Urteil (1 ABR 22/21) die Rech­te der Betriebs­rä­te gestärkt und fest­ge­stellt, dass Betriebs­rä­te ein Mit­be­stim­mungs­recht bei der Ein­füh­rung von Sys­te­men zur Arbeits­zeit­er­fas­sung haben. Die­ses Urteil basiert auf der Auf­fas­sung, dass die Art und Wei­se, wie die Arbeits­zeit erfasst wird, Aus­wir­kun­gen auf die Arbeits­be­din­gun­gen der Mit­ar­bei­ter hat und daher in den Zustän­dig­keits­be­reich des Betriebs­rats fällt.

Das BAG-Urteil wur­de als wich­ti­ger Schritt zur Umset­zung des EuGH-Urteils in Deutsch­land gewer­tet. Es hat jedoch auch Kri­tik her­vor­ge­ru­fen, ins­be­son­de­re von Arbeit­ge­ber­sei­te, die befürch­ten, dass die Mit­be­stim­mungs­rech­te der Betriebs­rä­te die Ein­füh­rung von Arbeits­zeit­er­fas­sungs­sys­te­men ver­kom­pli­zie­ren und ver­zö­gern könn­ten.

Der Refe­ren­ten­ent­wurf des BMAS zur Arbeits­zeit­er­fas­sung

Ein Refe­ren­ten­ent­wurf des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Arbeit und Sozia­les (BMAS) zur Arbeits­zeit­er­fas­sung, der im April 2023 vor­ge­legt wur­de, zielt dar­auf ab, die Pflicht zur Arbeits­zeit­er­fas­sung zu kon­kre­ti­sie­ren. Das Arbeits­zeit­ge­setz (ArbZG), wel­ches in Deutsch­land die zuläs­si­ge Arbeits­zeit regelt und Bestim­mun­gen zu Ruhe­pau­sen, Ruhe­zei­ten und zur Nacht- und Sonn­tags­ar­beit ent­hält, soll ent­spre­chend ange­passt wer­den.

Der Ent­wurf sieht vor, dass Arbeit­ge­ber ver­pflich­tet sein wer­den, Beginn, Ende und Dau­er der täg­li­chen Arbeits­zeit ihrer Mit­ar­bei­ter auf­zu­zeich­nen. Die­se Auf­zeich­nung muss bereits am Tag der Arbeits­leis­tung erfol­gen.

Die Erfas­sung der Arbeits­zeit muss laut Ent­wurf elek­tro­nisch erfol­gen. Aller­dings kön­nen Tarif­ver­trä­ge oder Betriebs- bzw. Dienst­ver­ein­ba­run­gen hier­von abwei­chen. Der Ent­wurf geht damit über die Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts hin­aus, das eine hand­schrift­li­che Erfas­sung aus­rei­chen ließ. Es sind jedoch Über­gangs­re­ge­lun­gen vor­ge­se­hen, ins­be­son­de­re für klei­ne und mitt­le­re Unter­neh­men.

Der Ent­wurf sieht auch vor, dass die Auf­zeich­nungs­pflicht auf die Arbeit­neh­mer dele­giert wer­den kann, wobei die gesetz­li­che Ver­ant­wor­tung stets beim Arbeit­ge­ber bleibt. Dies wird ins­be­son­de­re bei der soge­nann­ten Ver­trau­ens­ar­beits­zeit rele­vant sein. Bei die­ser Form der Arbeits­zeit­ge­stal­tung kön­nen die Arbeits­ver­trags­par­tei­en wei­ter­hin eine Ver­trau­ens­ar­beits­zeit ver­ein­ba­ren, aller­dings müs­sen auch hier die Vor­ga­ben des öffent­lich-recht­li­chen Arbeits­zeit­schut­zes ein­ge­hal­ten wer­den.

Der Arbeit­ge­ber ist zudem ver­pflich­tet, den Arbeit­neh­mer auf Ver­lan­gen über die auf­ge­zeich­ne­te Arbeits­zeit zu infor­mie­ren und ihm auf Ver­lan­gen eine Kopie der Auf­zeich­nun­gen zur Ver­fü­gung zu stel­len. Es genügt, wenn die Arbeit­neh­mer die sie betref­fen­den elek­tro­ni­schen Auf­zeich­nun­gen selbst ein­se­hen und Kopien anfer­ti­gen kön­nen. Obwohl dies nicht die pri­mä­re Absicht des Geset­zes ist, wird sich damit für Arbeit­neh­mer die Gel­tend­ma­chung von Über­stun­den erheb­lich ver­ein­fa­chen.

Die Rol­le der Ver­trau­ens­ar­beits­zeit im Kon­text der Arbeits­zeit­er­fas­sung

Die Ver­trau­ens­ar­beits­zeit ist ein Arbeits­zeit­mo­dell, das in Deutsch­land weit ver­brei­tet ist und ins­be­son­de­re in Beru­fen mit hohem Auto­no­mie­grad und in Unter­neh­men mit einer Kul­tur des Ver­trau­ens und der Eigen­ver­ant­wor­tung Anwen­dung fin­det. Dabei wird den Arbeit­neh­mern ein hohes Maß an Fle­xi­bi­li­tät bei der Gestal­tung ihrer Arbeits­zeit ein­ge­räumt, wobei die genaue Erfas­sung der Arbeits­stun­den oft nicht im Vor­der­grund steht.

Aller­dings ist die­ses Modell nicht unum­strit­ten. Kri­ti­ker wei­sen dar­auf hin, dass die Ver­trau­ens­ar­beits­zeit zu einer erhöh­ten Arbeits­be­las­tung und einer Ver­schlech­te­rung der Work-Life-Balan­ce füh­ren kann, da die Gren­zen zwi­schen Arbeit und Frei­zeit zuneh­mend ver­schwim­men. Zudem kann es bei die­sem Modell schwie­rig sein, die Ein­hal­tung der gesetz­li­chen Vor­ga­ben zur Arbeits­zeit und den Ruhe­zei­ten zu gewähr­leis­ten.

Der Refe­ren­ten­ent­wurf des BMAS zur Neu­re­ge­lung der Arbeits­zeit­er­fas­sung könn­te erheb­li­che Aus­wir­kun­gen auf das Modell der Ver­trau­ens­ar­beits­zeit haben. Der Ent­wurf sieht vor, dass Arbeit­ge­ber ver­pflich­tet wer­den, die Arbeits­zeit ihrer Arbeit­neh­mer sys­te­ma­tisch zu erfas­sen. Dies könn­te dazu füh­ren, dass das Modell der Ver­trau­ens­ar­beits­zeit in sei­ner der­zei­ti­gen Form nicht mehr prak­ti­ka­bel ist.

Gleich­zei­tig ent­hält der Ent­wurf jedoch auch Bestim­mun­gen, die eine gewis­se Fle­xi­bi­li­tät bei der Arbeits­zeit­ge­stal­tung ermög­li­chen. So könn­ten Arbeit­ge­ber und Arbeit­neh­mer bei­spiels­wei­se Ver­ein­ba­run­gen über eine fle­xi­ble Arbeits­zeit­ge­stal­tung tref­fen, solan­ge die maxi­mal zuläs­si­ge Arbeits­zeit und die Ruhe­zei­ten ein­ge­hal­ten wer­den. Es bleibt abzu­war­ten, wie die­se Bestim­mun­gen in der Pra­xis umge­setzt wer­den und wel­che Aus­wir­kun­gen sie auf die Pra­xis der Ver­trau­ens­ar­beits­zeit haben wer­den.

Fazit und Aus­blick

Die Debat­te um die Arbeits­zeit­er­fas­sung in Deutsch­land hat in den letz­ten Jah­ren an Fahrt auf­ge­nom­men. Die Urtei­le des EuGH und des BAG sowie der aktu­el­le Refe­ren­ten­ent­wurf des BMAS zur Ände­rung des Arbeits­zeit­ge­set­zes zei­gen, dass das The­ma sowohl auf euro­päi­scher als auch auf natio­na­ler Ebe­ne hohe Prio­ri­tät hat.

Die vor­ge­schla­ge­nen Ände­run­gen im Refe­ren­ten­ent­wurf zie­len dar­auf ab, die Arbeits­zeit­er­fas­sung fle­xi­bler und an die moder­nen Arbeits­be­din­gun­gen anzu­pas­sen. Sie beto­nen die Bedeu­tung der Doku­men­ta­ti­on der Arbeits­zeit und stel­len gleich­zei­tig klar, dass Ver­trau­ens­ar­beits­zeit nicht gleich­be­deu­tend mit einer Befrei­ung von der Pflicht zur Arbeits­zeit­er­fas­sung ist.

Es bleibt abzu­war­ten, wie der Gesetz­ge­bungs­pro­zess wei­ter ver­läuft und wel­che Aus­wir­kun­gen die end­gül­ti­gen Ände­run­gen auf die Pra­xis der Arbeits­zeit­er­fas­sung in Deutsch­land haben wer­den. Es ist jedoch klar, dass das The­ma Arbeits­zeit­er­fas­sung wei­ter­hin im Fokus von Arbeit­ge­bern, Arbeit­neh­mern und Betriebs­rä­ten ste­hen wird.

Für Betriebs­rä­te bie­tet sich in die­sem Kon­text die Mög­lich­keit, aktiv an der Gestal­tung und Umset­zung von Arbeits­zeit­er­fas­sungs­sys­te­men in ihren Unter­neh­men mit­zu­wir­ken und so die Inter­es­sen der Beschäf­tig­ten zu wah­ren.

Die wei­te­re Ent­wick­lung soll­te daher auf­merk­sam ver­folgt wer­den, um auf die sich ändern­den Anfor­de­run­gen und Rah­men­be­din­gun­gen reagie­ren zu kön­nen.

Für wei­te­re Infor­ma­tio­nen und Updates zum The­ma Arbeits­zeit­er­fas­sung emp­feh­len wir, die ent­spre­chen­den Res­sour­cen und Publi­ka­tio­nen des BMAS und ande­rer rele­van­ter Insti­tu­tio­nen zu ver­fol­gen.

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